10 empfehlenswerte Kinderbücher über Konflikte, Krieg, Flucht und Heimatlosigkeit
von Ina Nefzer
Alle diese Bilder- und Kinderbücher eignen sich hervorragend als Ausgangspunkt für Gespräche mit Kindern über die aktuelle Lage und können helfen sich den schwierigen Themen anzunähern.
Gewaltsame Konflikte
1. Grünechsen sind klein und rundlich, Rotecken dagegen gerade Klötze. Beide Völker stehen sich in diesem Bilderbuch unversöhnlich gegenüber. Sie sind einfach zu verschieden. Als eines Tages eine Grünechse fragt: „Warum kämpfen wir eigentlich?“, wird sie von einem Roteck zerdrückt und es kommt zum „größten Kampf aller Zeiten“. Bis der zweite wichtige Satz fällt, diesmal von einer Rotecke: „Genug ist genug!“. Es kommt erst zum Waffenstillstand, dann zu einem friedlichen Zusammenleben. Jeder lebt wie er mag: außen die Eckigen, innen die Runden.
Eine Parabel mit klarer Botschaft: so gibt’s Krieg und so Frieden.
Steve Antony: Grünechsen gegen Rotecken. A. d. Engl. v. Cordula Borawski. Sauerländer 2021, 13,99 €. Ab 4
2. „Auf der Welt gibt es ein großes Problem, das heißt Gewalt.“ Aber was ist das genau? Wenn zwei sich umbringen, ist die Antwort eindeutig. Wie aber ist es, wenn man in Computerspielen tötet oder mit Worten gemein ist, andere beleidigt und beschimpft? Pernilla Stalfelt spielt unterschiedlichste Fragen in vielen einzelnen kleinen Szenen durch und findet eine Sprache dafür. Auf den Seiten angeordnet, wirkt das nur auf den ersten Blick chaotisch, denn so können alle Seiten beleuchtet werden.
Von Waffen bis Umweltzerstörung, Folter und Krieg: Pernilla Stalfelt findet klare Worte und begründet jede einzelne Feststellung.
Pernilla Stalfelt: Ich mach dich platt! Das Kinderbuch von der Gewalt. A. d. Schwed. v. Birgitta Kicherer. Moritz 2008, 12 €. Ab 5
Krieg
3. Eine Wahrheit so auszumalen, dass sie als einzig richtige Option erscheint, gelingt der Fabel des russischen Künstlers Nikolai Popov sogar ohne Text. Er nutzt die Doppelseiten seines Bilderbuchs als Schauplätze eines anwachsenden Konflikts. In der ersten Szene sitzt rechts ein lächelnder Frosch auf einem Stein und schnuppert an einer Blume, während links eine Maus auftaucht. Schon auf der nächsten Seite macht sie ihm Stein und Blume streitig, auf Seite drei erobert Frosch alles zurück, bis Maus mit Kanonen anrückt. Der Streit eskaliert bis alles in Schutt und Asche liegt. Es endet wie es beginnt, mit der Frage Warum?
Eine Fabel über die Sinnlosigkeit des Krieges.
Nikolai Popov: Warum? A. d. Amerik. v. Viktor Christen. Minedition 2021, 15 €. Ab 4
4. Wenige Kinderbücher schildern wie dieses ein Kriegsgeschehen aus Kindersicht. In wenigen Worten und skizzenhaften schwarzbraunen Szenen geht es um Akim, der friedlich spielt, als plötzlich „die Luft von dumpfem Lärm und Schüssen bebt“. Er rennt heim, doch sein Zuhause ist zerstört, die Familie unauffindbar. Auf der Odyssee der folgenden Tage geben ihm Fremde, die selbst kaum noch können, kurze Zeit Schutz. Dann wird er von Soldaten gefangen genommen, kann fliehen und gelangt mit einer Gruppe in ein Lager, wo man seine Mutter sucht und findet.
Ein ungeheuer wichtiges Buch, weil es fühlbar macht, was Krieg ganz konkret bedeutet.
Claude K. Dubois: Akim rennt. A. d. Franz. v. Tobias Scheffel, Moritz 2013, 12,95 €. Ab 6
5. Ob Religionen, politische Systeme oder schlicht Aggression die Auslöser sind: wenn Volksgruppen und Staaten miteinander in Streit geraten, weil sie sich nicht mit Worten einigen können, gibt es Terroranschläge und im schlimmsten Fall Krieg. Soldaten und Armeen kämpfen dann mit Gewalt, um herauszufinden, wer der Stärkere ist. Das Bildersachbuch findet klare Worte und baut einfache Sätze für komplizierte Zusammenhänge. Es liefert informative Hintergründe, beleuchtet Motive und Auswirkungen.
Mit seinem quadratischen Format, das gut in Kinderhände passt, und Bildern, die nicht zu deutlich werden, bietet es alle Informationen für ein Gespräch mit seinem Kind über den Krieg.
Louise Spilsbury / Hanane Kai / Jonas Bedford-Strohm: Weltkugel: Wie ist es, wenn es Krieg gibt? Alles über Konflikte. Gabriel, 10 €. Ab 5
Flucht
6. Der gesamte Gewinn dieses Bilderbuch-Projekts spendet der Verlag an „Menschen, die sich so verhalten wie das eine Schaf in dieser Geschichte. Das Schaf, das dem fremden Schaf hilft und seine Herde überzeugt, es aufzunehmen“. Eine starke Haltung! Die Fabel stellt eine wollweiße Schafsherde, die auf einer grünen Klippe über dem Meer grast, einem schwarzen Schaf in einem brüchigen Boot gegenüber. Zwischen oben und unten entspinnt sich ein Dialog. Als das schwarze Schaf fast ertrinkt, werden die Seiten schwarz, der Text interaktiv, weil alle die Augen zu machen. Fast alle, denn plötzlich steht das fremde Schaf unter ihnen.
Ein Buch wie ein Weckruf!
Hans-Christian Schmidt / Andreas Német: Eine Wiese für alle, Klett Kinderbuch, 14 €. Ab 4
7. „Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“. Wenn politische Ereignisse das eigene Leben radikal verändern, bleibt manchmal nur die Flucht. Exemplarisch am Beispiel einer Familie und aus der Ich-Perspektive eines betroffenen Kindes erzählt dies Bilderbuch, wie der Krieg ihm den Papa nimmt und eine Mutter zurückbleibt, die die Familie mit aller Kraft in Sicherheit bringt. Lange Bildfolgen malen konkrete Ansichten ihrer Flucht: versteckt auf Ladeflächen von Autos, nachts im Wald, an der Grenze, über das Meer. Bis sie endlich in Sicherheit sind.
Ein eindringliches Buch, das Gefahren nicht beschönigt und Mut macht.
Francesca Sanna: Die Flucht. A. d. Engl. v. Thomas Bodmer, NordSüd 2016, € 17,99. Ab 4
8. Als ein Verlag Kirsten Boie um eine Fluchtgeschichte bat, dachte sie sich keine aus, sondern hörte der 10-jährigen Rahaf und ihrem kleinen Bruder Hassan zu. Zwei Kinder, die in Syrien zuhause waren, bis der Krieg kam und ihren Eltern die Flucht als die ungefährlichere Option erschien. Wie sie in einem viel zu kleinen Boot über das Meer flohen, in einer fremden Kultur ankamen, vom Leben in Containern und wie neue Freundschaften entstanden. Das in einer zweisprachigen Ausgabe erschienene kleine Büchlein gibt Kindern aus dem arabischen Kulturkreis eine Stimme und offenbart ein persönliches Schicksal statt abstrakter Zahlen.
Ein schweres und brisantes Thema in einer wohltuenden Geschichte.
Kirsten Boie / Mahmoud Hassanein / Jan Birk: Bestimmt wird alles gut. Deutsch-Arabische Ausgabe, Klett Kinderbuch 2017, 9,95 €, ab 4
Heimatlosigkeit
9. Wie geht helfen? Berührt von „der Unmenschlichkeit, mit der Geflüchtete oft herumgeschupst werden“, bewegte diese Frage Daniela Leidig so lange bis sie Jonas, ihrem vierjährigen Sohn, davon erzählte. Sein kindlicher Tatendrang, der sich in vielen Zeichnungen im Buch niederschlägt, hat sie zu diesem gemeinsamen Bilderbuch-Projekt inspiriert. Es erzählt von Eleni und ihrer Großmutter, die nahe eines griechischen Lagers wohnen und für die Flüchtlinge als Willkommen einen bunten Konfettiregen basteln.
Ein Buch, das zu kreativen Konzepten und Ideen ermutigt, um die Welt nach einer Flucht wieder zu einem friedlicheren Ort zu machen.
Jonas Leidig / Daniela Leidig: Die Geschichte von Elenis Konfetti. Refugees welcome. Minedition 2021, 18 €. Ab 4
10. Dieses Fotobilderbuch gibt Flucht und Vertreibung nicht ein Gesicht, sondern viele. Gesichter von Kindern, die unter der Unsicherheit und Heimatlosigkeit leiden, sich zugleich aber erfindungsreich und mit bemerkenswertem Mut zurechtfinden. Die Porträts der Fotografin Alea Horst kommen den Kindern ganz nah und lassen sie selbst zu Wort kommen. Sie erzählen von der einen selbst gebauten Schaukel, von ihrer Heimat und Fluchterlebnissen, von ihren Träumen. Entstanden in den Lagern Mori und Kara Tepe auf der Insel Lesbos in Griechenland.
Authentisch, eindrücklich und ohne anklagendes Pathos laden die Bilder zu offenherzigen Begegnungen ein.
Alea Horst / Mehrdad Zaeri (Illu.): Manchmal male ich ein Haus für uns. Europas vergessene Kinder, Klett Kinderbuch 2022, 16 €. Ab 5